Geschlechterwahl

Unser wichtigstes Geschlechtsorgan sitzt nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren. Das Gehirn ist durch Sexualhormone spezifisch geprägt - und diese Prägung tritt manchmal erst mit der Pubertät ein. Wenn sich das Geschlecht nach der Geburt nicht einordnen lässt, wird es meist operativ bestimmt.

Forschungsergebnisse deuten auf drittes Geschlecht Etwa 60.000 Menschen, so genannte Intersexuelle oder Hermaphroditen, sind in Deutschland von solchen schwerwiegenden Eingriffen betroffen. Wissenschaftler haben zahlreiche Gene entdeckt, die einen Embryo zu einem sexuellen Wesen machen. Mit der Zeugung wird zunächst ein Chromosomengeschlecht festgelegt: XX oder XY. Bis zur siebten Woche gleichen sich männliche und weibliche Embryonen. Erst jetzt bilden sich Eierstöcke oder Hoden, und das ist der kritische Punkt. Nur unter dem Einfluss von Hodenhormonen entwickelt sich ein männlicher Fötus, bleibt die Hodenentwicklung aus, formt sich ein weiblicher Körper. Diese Entwicklung ist unabhängig davon, ob ein Y-Chromosom vorhanden ist oder nicht. Eines von 2000 Kindern wird ohne eindeutiges Geschlecht geboren.


Betroffene Babys verlassen in neunzig Prozent aller Fälle das Krankenhaus als Mädchen. Dies führt unter Umständen zu komplizierten Persönlichkeitsentwicklungen, wenn das fremdbestimmte Geschlecht nicht zur individuellen Empfindung passt. Bis heute ist unklar, wie Sexualhormone und das Geschlechtsempfinden zusammenspielen. Der Amsterdamer Neuroforscher Dick Swaab glaubt einen Teil der Antwort in einem Nervenkern des Zwischenhirns gefunden zu haben. Ein Neutronenhaufen mit dem Kürzel "BSTc" ist in das limbische System eingebettet, in dem viele Forscher eine Art Steuerzentrale des Sexualverhaltens sehen. Der BSTc scheint bei Männern deutlich größer zu sein und könnte somit den "kleinen Unterschied" auslösen. Dementsprechend sind hormonelle Veränderungen oder Rezeptorfehler häufig Ursachen für "Unstimmigkeiten" in der geschlechtlichen Entwicklung.


Über den Weg zur geschlechtlichen Identität ist bereits viel gestritten worden. Der biologische Faktor scheint ebenso bestimmend, wie der soziokulturelle, dessen Einfluss und Ausprägung noch schwerer bestimmbar erscheint. Trotzdem gilt Transsexualität in Deutschland nach wie vor als psychische Krankheit. Es gibt gesetzliche Regelungen, nach denen sich ein zur Frau bestimmter Hermaphrodit erst dann einen männlichen Vornamen geben kann, wenn er eine Reihe von medizinischen Gutachten durchlaufen hat. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität hat eine Gesetzesnovelle erarbeitet, die es den Menschen erleichtern soll, sich einem Geschlecht zuordnen zu lassen, die durch das herkömmliche Raster der Geschlechtlichkeit fallen. Außerdem wird ein Moratorium für operative Eingriffe an Neugeborenen gefordert. Niemand kann nämlich bis heute vorhersagen, ob ein Baby durch einen genitalen Eingriff wirklich davon profitiert, in eine bestimmte Geschlechterrolle gepresst zu werden.